Es gibt
viele Bücher, die ein Überraschungserfolg werden. Manche zeugen von
überragender literarischer Qualität, andere treffen den Zeitgeist,
und dann gibt es noch Benjamin Lebert. Der 1982 geborene Autor legte
1999 mit seinem Erstlingswerk ‚Crazy‘
genau so einen Überraschungserfolg hin. Dieses durchaus
außergewöhnliche Buch wird bis heute kontrovers diskutiert. Die
einen sprechen von einer genialen Abhandlung mit dem Thema Jugend,
andere wiederum von Betroffenheitspoesie und der sprichwörtlichen
untersten Schublade.
In welchem Sinne ich dieses Buch außergewöhnlich finde? Dies
herauszufinden, ist Ziel dieser Rezension.
Rezension
Schon
bevor ich das Buch aufschlagen kann, blickt mir das Gesicht
zum Buch direkt ins
Auge und auf der ersten Seite bekomme ich eine Kurzbeschreibung zu
ebendiesem. Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund scheint Benjamin
Lebert ziemlich stolz darauf zu sein, aus fünf Schulen geflogen zu
sein. Auch egal, es geht hier ja um das Buch. Und so beginne ich, den
Text zu lesen. Nach wenigen Zeilen macht sich bei mir der recht
einfach gehaltene, parataktische Satzbau bemerkbar. In kurzen, zwar
prägnanten, dennoch bald störenden Hauptsätzen, die aus einem bis
fünf Wörtern bestehen, wird dem Leser das Erlebte aus der Sicht
Leberts nahe gebracht. Zumindest versucht Lebert dies. Doch bei mir
stellte sich während des Lesens kein Bisschen
Identifikationsambition oder das Gefühl, hautnah am Geschehen zu
sein, ein. Denn bereits durch den oben beschriebenen Schreibstil
separiert sich der Autor von seinen Lesern. Nicht nur der
Schreibstil, sondern auch fehlende Hintergrunddetails (Warum genau
dieses Internat?) machen nach dem Lesen der ersten zwei Seiten schon
mal einen nüchternen Eindruck. Doch mit Hoffnung auf Besserung im
Geiste las ich weiter. Spätestens nach dem ersten Treffen mit seinem
Zimmerkollegen begann meine Stimmung jedoch endgültig zu kippen.
Ohne böse erscheinen zu wollen, ich bin noch nie einem Jugendlichen
begegnet, der so viele Salven umgangssprachlicher Ausdrucksweisen auf
seine Gesprächspartner loslässt. Dies mag vielleicht zunächst
authentisch wirken, doch nach einiger Zeit musste ich mich wirklich
fragen, ob das Buch nicht doch schon parodistische Züge aufweist.
Gesprächsfetzen wie „Die Jugend ist trotzdem scheiße.“ „Ja,
aber Mädchen sind geil.“ verstärken diesen Eindruck noch. Dies
stellt übrigens den Beginn einer Philosophiestunde (von sehr vielen)
dar.
Da
trinken die Jugendlichen mal Bier oder rauchen, und plötzlich fangen
sie im gemeinsamen Kreise auf irgendein zusammenhangloses Stichwort
an, pseudophilosophisches Gerede vom Zaun zu lassen, bei dem sogar
Benjamins halbseitiger Spasmus (der bis dahin auf jeder Seite
mindestens einmal erwähnt wird!) kurz zur Nebensache gerät. So
ziehen sich schon mal über fünf Seiten Zitate wie „Sind
Mädchen ein Teil vom Leben?“ - „Aber sicher doch.“ –
„Welcher denn?“ – „Der vom Hals bis zum Bauchnabel“ hin,
wobei man den Eindruck gewinnen kann, die Jugendlichen hätten nicht
gerade herkömmlichen Tabak in ihren Zigaretten. Dialoge wie der
obere erwecken zudem den Anschein, Lebert hätte sich plötzlich zur
Nebenfigur degradiert. Denn jeder zweite gesprochene Satz endet
(ungelogen!) mit „,meint
Janosch“ oder
„,sagt Janosch
immer.“. Es ist
ja schön, dass Benjamin im Internat gleich am ersten Tag so ein
großes, ja fast schon göttliches Vorbild findet, aber dann hätte
er das Buch doch gleich aus Janoschs Sicht schreiben können. Dies
hätte jedoch die ‚Handlung‘ dieses Werks auch nicht mehr
gerettet. Der Grund? Es gibt eigentlich keine. Nein, es werden zwei
‚Höhepunkte‘ in Benjamins Internatsleben über mehrere Seiten
sehr ausführlich geschildert (Erstes Mal am zweiten Abend im Klo vom
Mädchenflügel und Besuch eines Stripclubs in München [der
übrigens, rein
zufällig natürlich, Leberts
Eisen heißt] mit
der ganzen Crew und einem Senioren, der dereinst natürlich auch in
dem selben Internat war und seit dem Tod seiner Frau fast täglich in
den Club kommt), dazwischen werden primär zusammenhanglose Fetzen
bis aufs Äußerste ausgeschlachtet (Der Sprung vom Besuch bei der
Sexberatung zu Benjamins Durchfall fand ich zum Beispiel sehr
originell), da liest sich selbst die Illuminatus!-Trilogie
flüssig wie ein Tagebuch. Im Zug nach München folgt dann auch noch
ein Gespräch darüber, was denn Literatur wirklich bedeutet, und
zwar, nachdem die ganze Crew wegen Hemingways Der
alte Mann und das Meer ausgeflippt
ist. Vielleicht bin ich ja einfach herzlos, aber in meinen Augen
erreicht Lebert nicht das Ziel, dass der Leser „unter
jeden Satz ein Häkchen setzen kann, weil es einfach stimmt“.
Denn dazu müsste man, laut Definition in einer der vielen
Philosophiestunden, in jeder Situation fühlen, dass man genau so
gehandelt hätte wie der Protagonist des Buches. Und dies hat das
Buch nur äußerst selten bei mir erreicht. Es gab im Buch sogar
durchaus Momente, in denen mir Benjamin Lebert richtig unsympathisch
wurde. Denn
nach circa fünfzig Seiten fühlte ich mich als Leser wie der
heimliche Psychotherapeut von Benjamin Lebert, bombardiert mit
Lebensdetails, die mich herzlich wenig kümmerten. Sollte das Buch
wirklich eins zu eins autobiographisch sein, kann ich Lebert nur dazu
beglückwünschen, dass
er sich dazu entschieden hat, die Nachfolgewerke seiner Fantasie
entspringen zu lassen, denn noch mehr Betroffenheitspoesie,
wie ein Online-Rezensent es so treffend formulierte, hätte seinen
Werken nicht gerade geholfen. Oder vielleicht doch? Jedenfalls sind
Leberts Nachfolgewerke, die sich durchaus besser lesen lassen, fast
auf keiner Bestsellerliste aufgetaucht. Jaja, das Medienpublikum
bekommt manchmal wirklich, was es verdient. Doch ohne jetzt in diesem
Punkt allzu ausufernd zu werden, folgt nun das Fazit.
Fazit
Benjamin
Leberts Crazy
ist in der Tat ein besonderes Werk. Denn selten zuvor haben sich 175
Seiten bei mir so hingezogen wie in diesem Machwerk. Seien es der
katastrophale Satzbau, die Pseudophilosophie oder schlicht und
einfach der unsympathische Protagonist, Lebert schafft es auf so
ziemlich jeder Seite, mich immer mehr von seinem Buch zu vergraulen
und mich zu ernsthaften Fragen zu heutigen Bestsellern zu
veranlassen. Wo beispielsweise Per
Anhalter durch die Galaxis einfach
nur herrlich skurril war, schafft es Lebert, mit ähnlich abwegigen
Gedanken pure Langeweile zu erzeugen. Zudem hat man alles aus diesem
Buch schon mal wo anders gelesen. Beispielsweise in Salingers The
Catcher in the Rye,
das eine ähnliche Thematik viel prägnanter rüberzubringen vermag.
Immerhin war im Stern zu lesen, Lebert habe prägnanter
als jemals zuvor das
Thema Jugend auf
den Punkt gebracht. Hatte das etwas damit zu tun, dass Leberts Onkel
bei der ‚Süddeutschen‘ angestellt war? Oder mit dem renommierten
Verlagshaus, bei dem Crazy
erschien? Was es
auch sein mag, der Sinn dieses Buches erschließt sich mir einfach
nicht. Und so bleibt noch eines zu sagen: „Lass
uns nicht darüber nachdenken, was Literatur ist. Das können andere
tun. Wenn es Literatur ist, umso besser. Wenn nicht, ist es auch
scheißegal“, sagt Janosch. Dieser
Satz muss damals Leberts Autorenmotto gewesen sein.
Herrlich ;-) Perfekt beschrieben, lieber Maximilian! Herzlichen Dank für deine gelungene Rezension!
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